Weiterleitung vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.
Betreff: | [Flucht] UMF: Bevorstehende Volljährigkeit= drohender abrupter Hilfeabbruch? Informationen zum Rechtsanspruch und Beantragung von Hilfen für junge Volljährige |
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Datum: | Tue, 20 Dec 2016 15:36:35 +0100 |
Von: | Dörthe Hinz - Flüchtlingsrat Nds. <dh@nds-fluerat.org> |
An: | flucht@asyl.org |
Liebe Listenleser*innen
Niedersachsenweit sowie bundesweit drohen zahlreiche abrupte Hilfeabbrüche in der Unterstützung von unbegleitet Minderjährigen, die sich im Übergang in die Volljährigkeit befinden. Vielfach besteht der Bedarf, einer über die Volljährigkeit hinausgehenden Unterstützung, im Rahmen der Jugendhilfe. Der Rechtsanspruch ist gesetzlich klar verankert im § 41 SGBVIII.
Für viele Jugendliche droht dieser Abbruch bereits, wenn sie
überhaupt erst einmal in der Jugendhilfe "richtig" angekommen
sind. Insbesondere im letzten Jahr hat sich für viele Kinder und
Jugendliche die Phase der (vorläufigen) Inobhutnahme über einen
sehr langen Zeitraum hinausgezogen. Die Jugendlichen
wurden/werden demnach erst deutlich später im Rahmen der
vorgesehenden Anschlussmaßnahmen (Wohngruppe, Mobile Betreuung,
etc.) betreut.
Problematisch ist die regional sehr unterschiedliche
Handhabung der Bewilligung der Hilfen für junge Volljährige
sowie die Einschätzung von Bedarf und Notwendigkeit.
Hinzukommt, dass den Jugendlichen als auch ihren Begleitpersonen
(bspw. Vormünder) dieser Rechtsanspruch zum Teil nicht bekannt
und transparent genug ist.
Deshalb hier nochmal der Aufruf, bei über die Volljährigkeit
hinaus bestehendem Unterstützungbedarf ,diese Möglichkeit
unbedingt auszuschöpfen und die Jugendlichen bei der Beantragung
zu unterstützen!!
Vielfach droht ein Zusammenbruch des kompletten
Unterstützungsnetzwerkes. Das heißt, es droht bspw. einigen
jungen Menschen, aus der Jugendhilfeeinrichtung in eine
Gemeinschaftsunterkunft ziehen müssen und zahlreichen
Veränderungen unvorbereitet gegenüberzustehen. Die
Volljährigkeit bringt mehrere (rechtliche) Veränderungen mit
sich, die zu vielen Ängsten und Verunsicherungen führen: U.a.
die Vormundschaft entfällt, die aufenthaltsrechtliche Situation
ist oft noch nicht gesichert/geklärt/transparent , (mögliche)
Ausreisepflicht wird vollziehbar, Zuständigkeitswechsel der
Behörden, es drohen erneute Beziehungsabbrüche und ein erneuter
Verlust von Stabilität...
Auf Grundlage der Arbeitshilfe des Bundesfachverbandes für UMF
ist hier eine (um einzelne Aspekte erweiterterte ) Informations-
und Handlungsgrundlage zusammengestellt:
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Rechtsanspruch und Beantragung von Hilfen für junge Volljährige
Aktuell zeichnet sich erneut die Tendenz ab, Anträge auf Hilfeverlängerungen über das 18. Lebensjahr hinaus bundesweit abzulehnen, obwohl ein Unterstützungsbedarf vorliegt. Dies hat sich nach Wahrnehmung des Bundesfachverbandes umF und des Flüchtlingsrates Nds. in den letzten Monaten mit den steigenden Zahlen von jungen Geflüchteten zusätzlich verschärft. Die aktuell vielerorts herausfordernde Situation darf Standards der Jugendhilfe nicht zu Lasten der Jugendlichen senken.
Thematische
Inhalte :
1. Wer ist leistungsberechtigt?
2. Rechtsgrundlage
2.1 Leistungsinhalte
2.2 Anspruchsvorraussetzungen
2.2.1 Kriterien zur Beurteilung der
Persönlichkeitsentwicklung
2.3 Notwendigkeit
3. Was tun bei Ablehnung der Hilfe?
4. Verfahrensablauf
5. Konsequenzen frühzeitiger und abrupter Hilfebeendigung
1. Wer ist leistungsberechtigt?
Nach § 41 SGB VIII gibt es den Anspruch auf Hilfen für junge Volljährige bis zum 21. Lebensjahr, bei besonderen Gründen bis zum 27. Lebensjahr.
Dieser Rechtsanspruch besteht für alle Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden, die in Deutschland leben und ist demnach unabhängig vom Aufenthaltsstatus zu gewähren.
Der junge Mensch ist selbst leistungsberechtigt und hat einen Rechtsanspruch auf die notwendige und bedarfsgerechte Unterstützung – sowohl stationär als auch ambulant. Dieser Anspruch erstreckt sich auch auf junge Volljährige, die nach dem 18. Lebensjahr erstmalig einen solchen Bedarf geltend machen.Nach dem Erreichen des 21. Lebensjahres kann eine Hilfe nach § 41 SGB VIII grundsätzlich nicht mehr begonnen werden. Eine Fortsetzung laufender Hilfen über das 21. Lebensjahr ist aber in begründeten Einzelfällen möglich.Die Beweislast bei Ablehnung liegt bis zum 21. Lebensjahr bei dem Jugendamt.2. Rechtsgrundlage
Nach § 41 Abs. 1 SGB VIII sollen Hilfen gewährt werden
- zur Persönlichkeitsentwicklung und
- zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung, wenn sie aufgrund der individuellen Situation notwendig ist.
Für die Ausgestaltung der Hilfe gelten § 27 Absatz 3 und 4 SGB VIII sowie die §§ 28 bis 30, 33 bis 36, 39 und 40 SGB VIII entsprechend. Zielstellung ist der Fortschritt im Entwicklungsprozess. Grundsätzliche Voraussetzung für jede sozialpädagogische Dienstleistung ist eine bestehende oder zu erzielende Bereitschaft zur Mitwirkung. Dabei ist Mitwirkung allerdings keine Einbahnstraße, sondern sozialpädagogische Herstellungsaufgabe. Fehlende Mitwirkung führt deshalb nicht reflexartig zur Beendigung der Hilfe. Eine Leistung ist allerdings dann nicht zu gewähren, wenn sie offensichtlich erfolgslos ist. An den Erfolg sind keine besonders strengen Anforderungen geknüpft. Vielmehr reicht jede spürbare Verbesserung. Wo jedoch sozialpädagogische Hilfen notwendig sind, ist die Jugendhilfe vorrangig zuständig.
Nach Beendigung der Jugendhilfe, hält das Gesetz einen Anspruch auf Nachbetreuung nach § 41 Abs. 3 SGB VIII vor. Junge Erwachsene sollen danach auch nach Beendigung der Hilfen im notwendigen Umfang beraten und unterstützt werden.
2.1 Leistungsinhalte
Gemäß § 41 SGB VIII: Für die Ausgestaltung der Hilfe gelten § 27 Absatz 3 und 4 SGB VIII sowie die §§ 28 bis 30, 33 bis 36, 39 und 40 SGB VIII entsprechend:
§ 27 SGB VIII Abs. 3 und 4
pädagogische und therapeutische Hilfen zur Erziehung, auch Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen und Erziehungssituationen, in deren Rahmen auch Unterkunft in sozialpädagogisch begleiteten Wohnformen nach § 13 Abs. 3 und § 19 SGB VIII gewährt werden kann
§§ 28-30, 33-35 SGB VIII
Erziehungsberatung (§ 28 SGB VIII), Soziale Gruppenarbeit (§ 29 SGB VIII), Erziehungsbeistand und Betreuungshelfer (§ 30 SGB VIII)
Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII), Heimerziehung und sonstige betreute Wohnform (§ 34 SGB VIII), Intensive sozialpädagogische Einzelfallhilfe (§ 35 SGB VIII)
Schnittstelle zur Eingliederungshilfe:
(drohende) seelische Behinderung (§ 35a SGB VIII)
2.2 Anspruchsvorraussetzungen
-keine präzise Bestimmung der Anspruchsvoraussetzungen
Voraussetzungen der Gesetzesformulierung:
1. Erforderlich aufgrund der individuellen Situation
2. Einschränkungen in der Persönlichkeitsentwicklung
3. Einschränkungen in der eigenverantwortlichen Lebensführung / Selbstständigkeit
2.2.1 Kriterien zur Beurteilung der Persönlichkeitsentwicklung
- Grad der Autonomie
- Durchhalte- und Konfliktfähigkeit
- Fähigkeit zum Aufbau von Beziehungen zur sozialen Umwelt
- Fähigkeit zur Bewältigung von Anforderungen des täglichen Leben
2.3 Notwendigkeit
Die Notwendigkeit von Hilfen zur Gestaltung einer eigenverantwortlichen Lebensführung muss gegeben sein.
Insbesondere folgende Fallgruppen bzw. Entwicklungshemmungen, können eine Notwendigkeit begründen:
- bisherige Betreuung nach §§ 33, 34, 35a SGB VIII
- brüchige, gestörte
Lebenswege
- problembelastete Lebenslagen wie bspw. Obdachlosigkeit, Suchtkrankheit oder Suchtgefährdung
- Seelische Belastungen, psychische Störungen, nicht aufgearbeitete, familiäre Konflikte
- Eingliederung in die Arbeitswelt erscheint aufgrund schulischer, beruflicher oder sonstiger Abbrüche gefährdet
- Aussteiger/innen aus problematischem Milieu
3. Was tun bei Ablehnung der Hilfen?
Im Falle einer unrechtmäßigen Ablehnung des Antrages auf Hilfen für junge Volljährige kann versucht werden – auch mit Hilfe von Ombudschaftsstellen – eine Einigung mit dem örtlichen Jugendamt zu erzielen.
Erforderlich für die rechtmäßige Ablehnung ist eine einzelfallbezogene Begründung des Jugendamts. Wird die Ablehnung nicht begründet oder erfolgt diese nur pauschal, also nicht auf den Einzelfall bezogen, kann dies gerichtlich überprüft werden. Der junge Mensch kann seinen Regelanspruch nämlich beim örtlichen Verwaltungsgericht einklagen, wenn die Ablehnung der Hilfe rechtswidrig erscheint. Um gerichtliche Schritte gehen zu können, benötigen die meisten jungen Menschen Unterstützung, sowohl rechtlich als auch durch eine fachliche pädagogische Begleitung auf Trägerebene. Vielfach müssen Träger bis zur endgültigen Entscheidung über eine Hilfegewährung in Vorleistungen gehen, dies lohnt sich jedoch in den meisten Fällen und kann für die jungen Menschen zukunftsentscheidend sein.
4. Verfahrensablauf
4.1 Beantragung und Begründung
Kompletter Verfahrensablauf:
- Schriftlichen Antrag stellen mit ca. 17,5 Jahren (empfehlenswert)
- ein schriftlicher Antrag erfordert einen schriftlichen Bescheid
- junger Mensch ist Anspruchsinhaber*in
- Antragsbegründung: Persönlichkeitsentwicklung, Nachreifung, Verselbsständigung,
- Untermauerung durch Gutachten und Stellungnahmen von Fachkräften
- Bearbeitungsdauer max 3 Monate
- Widerspruch innerhalb von 4 Wochen
- Bei abgelehntem Widerspruch: Klage vor dem Verwaltungsgericht innerhalb von 4 Wochen;Eilantrag erforderlich
5. Konsequenzen frühzeitiger und abrupter Hilfebeendigung
Die Jugendlichen, die nach Beendigung der Jugendhilfe noch nicht über einen gesicherten Aufenthaltsstatus verfügen, erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und unterliegen zahlreichen Beschränkungen. Mit dem Ende der Jugendhilfe wird darüber hinaus fraglich, ob Wohnraum zur Verfügung steht, ob Gesundheitsversorgung und Therapie in vollem Umfang gewährt werden und ob eine Ausbildung bewältigt werden kann.
Im Anhang sind die Informationen als Datei aufzurufen.
Außerdem ist ergänzend die Arbeitshilfe des
Bundesfachverbandes umF, sowie eine empfehlenswerte
ausführliche Darstellung des Rechtanspruches von Frau
Rosenbauer und Frau Schiller des Berliner Rechtshilfefonds
enthalten.
Zusätzlich noch der Hinweis auf die Themenseite zu jungen volljährigen Flüchtlingen auf der Homepage des Bundesfachverbandes umF: (www.b-umf.de/de/themen/junge-volljaehrige).
Abschließend
appellieren wir gemeinsam mit dem Bundesfachverband umF
eindringlich an die Entscheidungsträger der Länder und
Kommunen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen
und junge Flüchtlinge nicht ohne reale Chancen auf
schulische und berufliche Ausbildung sowie eine
aufenthaltsrechtliche Unterstützung und
Perspektivklärung aus der Jugendhilfe zu entlassen!
Herzliche Grüße,
-- Dörthe Hinz Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. Röpkestr. 12 30173 Hannover Tel.: 0511/98 24 60 30 Durchwahl: 0511/98 24 60 37 Fax: 0511/98 24 60 31 Telefonsprechzeiten: Mo-Fr: 10.00 bis 12.30, Di+Do: 14.00 bis 16.00 www.nds-fluerat.org www.facebook.com/Fluechtlingsrat.Niedersachsen ****************************************************************** Der Flüchtlingsrat Niedersachsen ist für seine Arbeit auf Spenden angewiesen. Unterstützen Sie uns: GLS Gemeinschaftsbank eG: IBAN: DE28 4306 0967 4030 4607 00 / BIC: GENODEM1GLS Zweck: Spende oder werden Sie Fördermitglied im Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. Spenden an den Flüchtlingsrat sind steuerlich absetzbar. Steuer-Nr. 25/206/30501
-- Claudius Voigt Projekt Q - Büro für Qualifizierung der Flüchtlings- und Migrationsberatung Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V. (GGUA Flüchtlingshilfe) Hafenstraße 3-5 48153 Münster Fon: 0251 14486-26 Mob: 01578 0497423 Fax: 0251 14486-20 voigt@ggua.de www.ggua.de www.einwanderer.net Das Projekt Q wird gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie durch das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes NRW (MIK). Das Projekt Q ist Teilprojekt im IQ Netzwerk Niedersachsen. Das Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung (IQ)“ wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördert. In Kooperation mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die GGUA Flüchtlingshilfe ist Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPWV). Falls Sie im Bereich der Flüchtlingsarbeit in NRW auf dem Laufenden bleiben wollen - hier können Sie sich in die "Infoliste Münsterland" eintragen: http://www.ggua.de/ggua/fuer-den-newsletter-anmelden/
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